Killerspiele im Fadenkreuz
Nach dem erneuten Amoklauf in Emsdetten, an dessen Ende mehrere Verletzte und die Selbsttötung des Täters Sebastian B. stehen, beginnen erneut altbekannte Debatten. Die bisher verfügbaren Informationen zur Persönlichkeit charakterisieren B. als einen Einzelgänger und mehrfachen Sitzenbleiber, der sich als Loser in beruflich/schulischer und privater Hinsicht (starke Abneigung gegen „Modepüppchen“) sah und sich von seiner Umwelt in diesem Gefühl bestärkt fühlte. Seine Suche nach psychologischer Hilfe legen entsprechende Probleme nahe, der Hass auf die – vermeintlich – Schuldigen ist über Jahre hinweg dokumentiert, am Tag der Tat hätte er sich wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor Gericht verantworten müssen. Es handelte sich also offenbar um einen psychisch gestörten Menschen, der vor dem Scherbenhaufen eines gerade mal 18 Jahre währenden Lebens steht. Was kann ihn zu einer solch grausamen Tat gebracht haben? Angesichts dieser Zusammenhänge lässt sich die Frage einfach beantworten: es müssen die Killerspiele gewesen sein!
Wie lässt sich erklären, dass dieser speziell im Fall B. offensichtlich groteske Schluss sofort gezogen und entsprechend medial verbreitet wird? Liegt es nur an der offensichtlichen Ahnungslosigkeit, die beispielsweise SpOn-Autoren dazu bringt, das von B. exzessiv gespielte „Counterstrike“ so zu charakterisieren
„Ballernd bahnt man sich darin den Weg durch virtuelle Gänge, versucht so viele Menschen wie möglich zu erschießen.“
Eine analoge Definition von Fußball wäre: „Man bewegt sich dribbelnd oder sprintend über einen Rasenplatz und versucht den Ball so oft wie möglich im Tor unterzubringen – egal in welchem.“ Wesentlicher Inhalt des Teamspiels CS ist es nämlich, dass man die Hälfte aller vorhandenen „Menschen“ gar nicht erschießen DARF, weil sie zur eigenen Mannschaft gehören und man entsprechend bestraft wird, wenn man es dennoch tut. Counterstrike wird nun ebenfalls als eine den Amoklauf von Erfurt und den gestrigen verbindende Gemeinsamkeit propagiert, obwohl bis heute jeder Beleg fehlt, dass Robert Steinhäuser CS tatsächlich intensiv gespielt hat, was aufgrund der fehlenden Internet-Verbindung seines Rechners äußerst unwahrscheinlich ist.
Gerade konservative Politiker wie Bosbach und Schönbohm, welcher wieder die Spiele, in denen es angeblich darum geht, Frauen und Kinder zu verstümmeln, aus dem Hut zieht, möchte man fragen, ob sie die ihnen zum Teil unterstehenden Beamten der GSG 9 als „Killer“ bezeichnen würden. Schließlich schlüpft man in CS u.a. in deren Uniformen und entschärft Bomben bzw. rettet Geiseln, was die „Originale“ wohl in der Regel auch tun sollten…
Wie schon erwähnt, war B. offenbar tatsächlich ein Internet- und CS-Junkie und es ist nicht auszuschließen, dass der Konsum gewalthaltiger Medien einen Einfluss auf seine Persönlichkeitsentwicklung genommen hat. Trotzdem verwundert immer wieder die schnelle Konzentration auf die Videospiele und die indirekte Aussage, dass diesbezüglich härtere Gesetze diese Verbrechen verhindern können. Bis zu einem gewissen Teil ist es jedoch psychologisch verständlich und zeigt ein weiteres Mal auch einen Generationenkonflikt auf. Die fraglichen Politiker und auch Journalisten sind ohne die neuen Medien sozialisiert wurden und auch wenn sie inzwischen das Internet und PC´s nutzen, fehlt die intimere Kenntnis dieser (Noch)Subkulturen. Sie alle kennen wahrscheinlich aus eigener Erfahrung den Außenseiter in Schule und Beruf/Familie, den Sitzenbleiber, den Schüchternen, der aber nie zum Gewalttäter wurde. Dementsprechend liegt der subjektive Schluss, dass diese Dinge nicht die Ursache einer solchen Tat sein können, nahe. Es muss sich um etwas Neues, Fremdes handeln und das sind aus Sicht der Älteren logischerweise moderne Musikstile, Videos und Computerspiele. Enthalten diese dann auch tatsächlich noch Gewalt in einer ihnen unbekannten Weise, wird der Eindruck noch weiter verstärkt. Es fällt naturgemäß schwerer, sich vorzustellen, dass die mit ihnen verstrauten Konsumenten dieser Medien einen völlig anderen Blick auf deren Inhalte besitzen. Dieser Art Fehlschluss können im Übrigen umgedreht auch die „Gamer“ unterliegen, wenn sie beispielsweise entrüstet posten, dass sie trotz langjährigen Spielens von Ego-Shootern nie das Bedürfnis hatten, jemanden real zu erschießen.
Die zentrale Frage lautet, ob ein entscheidender Kausalzusammenhang zwischen Videospielen und Amokläufen hergestellt werden kann. Nur wenn dieser Zusammenhang belegbar wäre und es entweder der einzige oder der wesentlichste aus einer Reihe von Gründen wäre, würde die Forderung nach Verboten tatsächlich Sinn machen. Für die entsprechenden Politiker steht der Zusammenhang fest, basierend auf nicht wenigen unzutreffenden oder halbrichtigen Annahmen. Schaut man sich eine länger zurückreichende Aufzählung entsprechender Vorfälle an, wird schnell sichtbar, dass ein Konnex zu Videospielen, entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, insgesamt eher die Ausnahme ist. Genau genommen spielten sie erstmals in Littleton eine Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung, da die beiden Täter begeisterte „Quake“ und „Doom“-Spieler waren. Seitdem ist vor allem bei den Amokläufen in Bad Reichenhall, Erfurt und eben dem jüngsten in Emsdetten die intensive Beschäftigung der Täter mit Videospielen festzustellen.
Untersuchungen setzen den Beginn im Jahre 1974 an, weshalb sich zunächst einmal feststellen lässt, dass eine ganze Reihe der Fälle schon rein zeitlich nichts mit der erst Ende der 90er massiv einsetzenden allgemeinen Verbreitung der Spiele korreliert werden können. Die meisten anderen Fälle sind Unglücke, Verbrechen, die aus „klassischen“ Gründen wie Eifersucht oder von psychisch labilen bzw. kranken Personen begangen wurden, auch Nähe zu Versatzstücken von NS-Ideologie oder Hitler-Verehrung sind mehrmals nachzuweisen.
Hinzu kommen Nachahmungstaten des Columbine-Massakers, die eine ganz neue Frage in den Raum stellen, nämlich die nach der Medienberichterstattung im Hinblick auf solche Fälle. Nachdem sich mehrere Täter explizit auf die Vorbildwirkung des Verbrechens von Littleton beziehen und dies auch äußerlich nachahmten, z.Bsp. durch eine entsprechende Bekleidung während der Tat (was auch für Sebastian B. zutrifft), könnte man mit einiger Berechtigung sagen, dass die umfangreiche mediale Aufbereitung dieser Taten eine Mitschuld an den Folgeverbrechen hat. Allerdings würde wohl niemand die These vertreten, dass ALLEIN diese Berichterstattung Jugendliche zu einer solchen Tat motivieren würde und dass das Verzichten auf Berichterstattung dies entsprechend verhindert. Im Hinblick auf Videospiele argumentiert man aber exakt auf dieser Schiene.
Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Medien sozusagen den bereits vorhandenen Hass und die entsprechenden Phantasien beeinflussen können, die Ausführungen von Taten „inspirieren“ und bestimmte „Codes“ übernommen werden. Insgesamt zeigt die Analyse der bekannten Taten kein einheitliches Täterbild, eine Erkenntnis, die auch eine im Jahr 2000 erschienene Untersuchung amerikanischer Behörden unterstützt, die 37 Fälle auswertete. Es lässt sich also eine Schieflage in der Debatte konstatieren, die damit zusammenhängt, dass die in erster Linie thematisierten Fälle gerade die sind, bei denen die Täter exzessive Konsumenten von Videospielen waren. Für die absolute Mehrzahl dieser Art Verbrechen war und ist dies allerdings nicht der Fall,wobei noch anzumerken ist, dass nicht wenige der Täter sich selbst getötet haben und daher für viele Untersuchungen nachträgliche direkte Aussagen fehlen.
Populistische Äußerungen von Politikern zielen auf den Teil der Bevölkerung, der mit ihnen ein extrem begrenztes Wissen um diese Zusammenhänge und eine instinktive Ablehnung neuer Medien und Freizeitbeschäftigungen teilt. Wenn Bayerns Innenminister Beckstein aufgrund der äußerst schwachen Datenlage ein Verbot von Killerspielen bzw. deren Herstellung aus Gründen der Gewalt- und Verbrechensprävention fordert und gleichzeitig Alkohol, der bei einer Unzahl von Verbrechen (u.a. jedem dritten Mord) mit im Spiel ist und ca. 40 Milliarden Euro Schaden jährlich verursacht als wesentlichen Bestandteil unserer Feierkultur darstellt illustriert das ein weiteres Mal den oben ausgeführten Generationenkonflikt.
Nachtrag:
Ganz ähnlich und im erfrischenden Gegensatz zur oben zitierten Kollegin argumentiert Christian Stöcker in SpOn.