Copy kills logic
Die letzten Tage waren geprägt von Dutzenden angekündigter Amokläufe quasi nebenbei fand man auch einen Jugendlichen, der sich mit der Waffe des Großvaters erschoß, vorher als einer der Urheber der ersten Warnung galt und sich für gewalthaltige Computerspiele interessierte. Nachdem sich herausgestellt hat, dass nichts davon stimmte erlosch das Medieninteresse relativ schnell.
Herr Beckstein nahm diese Nachahmungstaten, die vor allem auch durch das Internet verbreitet bzw. angekündigt wurden, zum Anlaß, eine stärkere Überwachung desselben zu fordern. Man glaubt es kaum: er selbst sorgt durch seine schwachsinnige Killerspieldebatte im Verein mit den Medien erst dafür, dass einige Irre auf diese Ideen kommen oder sich einen schlechten Scherz erlauben und nutzt die selbsterzeugte Hysterie zu weiteren Verbotsforderungen. Respekt.
Endlich kann man auch mal ein echtes Opfer der “Killerspiele” vorweisen: ein 19jähriger Cottbuser hatte einen Obdachlosen getötet und sich darauf berufen, dass das Wrestling-Spiel “SmackDown vs. Raw 2006” ihn dazu gebracht hätte. Der Täter, ein arbeitloser alkoholabhängiger Rassist (also quasi ein Mann aus der Mitte der Gesellschaft), aufgewachsen in schwierigen Familienverhältnissen, war zur Tatzeit schwer betrunken und hatte bereits vorher unter Beweis gestellt, dass er unter Alkoholeinfluss gewalttätig werden kann, auch gegenüber anderen Menschen. Am selben Abend hatte er schon durch Tritte einen Fahrscheinautomaten beschädigt, sicherlich ebenso inspiriert durch das Computerspiel “Ticket Machine Bashing Exxxtreme III”.
Um das klar zu sagen: es geht natürlich um irgendeine Rechtfertigung einer solch grausigen Tat, aber selbst den größten Kritikern der Ego-Shooter sollte es angesichts der Lebens- und Vorgeschichte des Täters eigentlich schwer fallen, beim Videospiel tatsächlich eine entscheidende Voraussetzung oder den Auslöser sehen zu wollen. Dass Straftäter entsprechende gesellschaftliche Diskussionen zur Erklärung und Schuldminimierung nutzen, ist wahrlich auch kein neues Phänomen. Mir begegnete im Archiv auch der Fall eines jugendlichen Diebes, der schon 1916 seine Tat damit begründete, dass er zu viele schlechte Bücher gelesen habe, die ihn verführten. Aber im vorliegenden Fall schafft man es auch noch, den denkbar größten Bock zu suchen, den man zum Gärtner machen könnte: Dr. Manfred Spitzer. Dessen arrogant alle Kritiker als Pseudowissenschaftler abkanzelnden Tiraden sind zwar durchaus komisch, wenn er etwa von Spielen phantasiert, in denen nackte Frauen an der Decke hängen, die unterschiedlich stöhnen, je nachdem, auf welche Körperstelle man schießt. Die Vehemenz, mit der Spitzer Unsinn und Halbwahrheiten vertritt, ist atemberaubend. Er behauptet, dass man einen Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und realer Gewalt bewiesen habe (unwahr), dass Medienkompetenz für Kinder unnütz sei (falsch, siehe u.a. Finnland), dass die Wirkung von Fernsehwerbung ein passender Vergleich wäre (sie zeigt gerade, dass es keine Automatismen gibt und ist auch sonst nicht gleichzusetzen) und dass man Aggressivität offenbar am besten in Tabascoeinheiten messen kann (kein Kommentar). Im letzten, besonders abstrusen Kapitel seines Buches “Vorsicht Bildschirm” enttarnt er übrigens auch die wahren Verantwortlichen für den Irakkrieg und die US-Außenpolitik: die Videospiele. Offenbar waren es die 19jährigen GIs, die auf dem Einsatz bestanden haben.
Man darf gespannt sein, was das Gutachten ans Tageslicht bringt…