Leise rieselt der Kalk

Der linker Umtriebe eigentlich recht unverdächtige momentane Innenminister Brandenburgs Jörg Schönbohm hat sich –ausgerechnet zum Fest der Liebe- zur Propagierung handfester Anarchismus-Strategien entschlossen. Im Zusammenhang mit dem leidigen Thema Gewalt in Computerspielen offenbart der Minister einen überraschend freien Umgang mit geltendem Recht, böse Zungen könnten hier zum wiederholten Male darauf verweisen, dass er scheinbar nur eine leichte Ahnung von den eigenen Gesetzen hat. Ich hatte schon beim ersten Frontal21-Bericht angemerkt, dass Schönbohm einige Schwierigkeiten mit der Unterscheidung Verbot/Indizierung speziell bei der alten Rechtslage offenbarte. Leider hat sich das, wie eine aktuelle Pressemeldung zeigt, nicht unbedingt verbessert:

Die Unabhängige Selbstkontrolle funktioniert nicht. Sie lässt Gewaltdarstellungen zuviel Raum. Vielfach werden die noch schlimmeren Nachfolgeversionen von einst indizierten Gewaltspielen nicht mehr auf den Index gesetzt und sind damit Kindern und Jugendlichen zugänglich.

Darin ist nun so viel faktisch falsch bzw. widerspricht sich, dass man gar nicht so recht weiß, wo man anfangen soll, was wieder daran liegt, dass die wesentlichen Änderungen durch die Neufassung des JuSchG von 2003 an Schönbohm vorbeigegangen sind. Ein früher indiziertes Spiel erhält i.d.R. heute von der USK keine Jugendfreigabe, der Effekt ist derselbe: es darf eben Kindern und Jugendlichen NICHT zugänglich sein. Und deswegen macht auch die Aussage über die Gewaltdarstellung wenig Sinn. Falls Kinder und Jugendliche an für sie nicht freigegebene Spiele kommen, ist das nicht das Problem der USK, sondern des Handels und der Erziehungsberechtigten. Dass Schönbohm die Eltern zu besserer Kontrolle aufruft, lässt sich daher nur unterstreichen – aber das ist auch der einzige Punkt. Denn natürlich fehlt auch die Erfurt-Keule wieder nicht:

Nach der Bluttat von Erfurt waren sich alle über den negativen Einfluss von Gewaltspielen auf Kinder und Jugendliche einig. Inzwischen aber scheinen die Lehren von Erfurt bei vielen in Vergessenheit geraten zu sein.

Der inzwischen zum Gemeingut gewordene Mythos, dass der Amoklauf die Schuld der Computerspiele war, wird also weiterhin verbreitet, Belege oder Details braucht man nicht, diese Aussage gehört bekanntlich zu denen, die sich selbst beweisen. Abgesehen vom zweifelhaften Wahrheitsgehalt geradezu widerlich ist das Ausspielen der emotional aufgeladenen Randgruppen-Karte:

Wer das brutale Morden und die Verstümmelung von möglichst vielen Kindern, Frauen, älteren Menschen, Polizisten oder schlicht so genannten ‚Feinden’ zum obersten Ziel eines Computerspiels macht, handelt nicht nur menschenverachtend.

In welchen Spielen werden bitteschön möglichst viele ältere Menschen, Frauen oder gar Kinder (!) brutal ermordet oder verstümmelt? Die beklagte zunehmende Gewalttendenz entspringt ebenso der Phantasie der Untergangspropheten, die Statistik seit 1.4.2003 zeigt, dass mehr als die Hälfte aller untersuchten Spiele völlig ohne Altersbeschränkung auskommen und lediglich knapp 3% in die Kategorie „Keine Jugendfreigabe“ fallen. Dabei sind natürlich die Verkaufszahlen nicht berücksichtig, aber auch ein Gesamtüberblick über die Spielecharts belegt diese Aussagen nicht. Und diese 3% sind nicht nur für die zunehmende Verwahrlosung der Jugend sondern auch das schlechte Abschneiden bei den PISA-Studien verantwortlich und haben mehr Einfluss auf Heranwachsende als Eltern, Schule und soziales Umfeld zusammengenommen? Angesichts dieser Aussagen fragt man sich dann schon, ob das Schulsystem zur Kinderzeit von Herrn Schönbohm tatsächlich wesentlich effektiver war. Aber vielleicht geht es auch im Grunde nur darum, dass er die Jugend, statt sie an PC-Spiele zu setzen, wieder mehr zum Lesen animieren möchte? Beispielsweise Schönbohms Lieblingsschriftsteller Ernst Jünger, dessen Werk ja zum Glück meilenweit von jeglicher Gewaltdarstellung entfernt ist?

Nun sind das alles keine neuen Gesichtspunkte, innovativ und subversiv ist allerdings Schönbohms Idee, wie mit gekauften „Gewaltspielen“ umgegangen werden sollte:

Wenn Sie jetzt nachträglich feststellen, dass ein Spiel Gewalt propagiert, bringen Sie es nach dem Fest ins Geschäft zurück und tauschen Sie es um.

Für diese angesichts der Tatsache, dass Software, besonders bei geöffneter Verpackung, vom Umtausch ausgeschlossen ist (solange kein Mangel vorliegt), doch ziemlich überraschende Empfehlung gibt es zwei Erklärungsansätze:

1. Schönbohm hat zum wiederholten Male keine Ahnung von der aktuellen Rechtslage und den Zusammenhängen
2.Er kennt diese im Gegenteil ganz genau und will sie gezielt untergraben

Nehmen wir zu seinen Gunsten mal an, dass die zweite Variante zutrifft, ergeben sich ganz interessante Möglichkeiten. Ich bin versucht, mal im Ministerium anzufragen, ob es denn schon entsprechende von Schönbohm unterzeichnete Vordrucke zum Download gibt, mit denen man Händler zum Umtausch zwingen kann. Vorschlag:

Da in Spiel …... ständig (Zutreffendes bitte ankreuzen)

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