Vom Wasser haben wir´s gelernt
Ein bemerkenswertes Beispiel für vorauseilende Selbstzensur bieten dieser Tage eine ganze Reihe deutscher Hörfunksender. Diese haben wegen der Flutkatastrophe in Asien den Titel „Die perfekte Welle“ von Juli (neben einigen anderen) aus dem Programm genommen. Da ich den Song zwangsweise einige Wochen jeden Tag mehrmals ertragen musste, könnte ich prinzipiell ja damit leben, andererseits handelt es sich hier um eine ziemlich seltsame und schwachsinnige Aktion. Der Text des Songs verwendet die Welle lediglich als Metapher (wie die meisten anderen auch) und dreht sich eigentlich um eine ganz andere Situation. Es mag ja nicht jedem gegeben sein, sprachliche Bilder zu entschlüsseln, aber wie kommt jemand auf die Idee, einen Text nicht nur konträr zu seinem Sinn zu interpretieren, sondern diese falsche Interpretation dann auch noch als Geschmack- bzw. Pietätlosigkeit anzusehen? Sehr schön ist da die Formulierung
...obwohl es im Liedtext eigentlich um Emotionen und nicht um Wasser geht”, wie Musikredakteurin Conny Eisert auf Anfrage betonte. “Wir gehen gerade bei deutschen Liedern mit den Texten sehr sensibel um”, fügte Eisert hinzu.
Sprachsensibilität drückt sich neuerdings also darin aus, dass man den eigentlichen Inhalt des Textes ignoriert und ihn wegen einer zu Unrecht untergeschobenen Aussage zensiert? Noch absurder ist die Entscheidung, auch den Song „Eine geile Zeit“ derselben Band nicht mehr zu spielen, dessen musikalischer wie textlicher Grundtenor eher nachdenklich und melancholisch ist. Da der Name des Songs aber einen Partyinhalt suggeriert und die Hörer offenbar unfähig sind, selbst die eindeutigen Zeilen in eigener Sprache, die den Titel eben konterkarieren, zu verstehen, wird er trotzdem gestrichen. Da fragt man sich schon, was denn überhaupt noch gespielt wird und passend ist –24 Stunden am Tag O-zone? Wird auch Lichtenauer-Werbung aus dem Programm genommen, oder differenziert man da noch zwischen „indizierten“ Mineralwasser- und erlaubten Limonaden-Commercials? Darf ich mich eigentlich noch duschen, ohne das Gefühl zu haben, etwas im Grunde Pietätloses zu tun?