Der zweifelhafte Stellvertreter

In der Jungen Freiheit, dem sich um Seriosität bemühenden Zentralorgan der intellektuellen Neuen Rechten, erschien am 18.2. 05 ein mit einigen umstrittenen Aussagen gespicktes Interview mit dem Schriftsteller Rolf Hochhuth, besonders bekannt für das Werk „Der Stellvertreter“ über die Rolle des Papstes während der Zeit des Dritten Reiches.
Die Brisanz der Unterhaltung liegt in erster Linie an der scheinbar verblüffenden Affinität, die der „linke“ Hochhuth zu einigen rechten Themen offenbart, während er sich an anderer Stelle beispielsweise als Anhänger der Kollektivschuldthese outet und nicht zuletzt an den Aussagen über seinen langjährigen Freund David Irving. Es ist erstaunlich, dass es darauf bisher kaum Reaktionen gibt, denn zumindest in wesentlichen Teilen müsste das Interview scharfen Widerspruch erfahren.

Irving ist eine der wichtigsten Figuren im Kartell der Geschichtsrevisionisten und Holocaustleugner, ursprünglich gestartet mit in Fachkreisen durchaus anerkannten Publikationen, später aber immer mehr und immer deutlicher als Verbreiter von Verschwörungstheorien und den Nazismus verharmlosenden Formulierungen hervorgetreten. Seine Wichtigkeit für die rechte Szene ist erst kürzlich wieder bei den Großaufmärschen am Jahrestag der Zerstörung Dresdens und der damit verbundenen Propaganda sichtbar geworden. Die dort permanent um das Zehnfache erhöhten Opferzahlen, die angeblich bis zu 300.000 betragen (die Forschung geht von ca. 35 000 aus, im Moment untersucht eine Kommission die Frage erneut, um dieses Thema abzuschließen) stammen wesentlich aus Irvings Buch „The destruction of Dresden“ und basieren u.a. auf einer ihm zugespielten gefälschten Quelle. Dass Irving seinen Irrtum später sogar eingestanden und diese Zahl widerrufen hat, ist allerdings auch nach über 30 Jahren noch nicht in die Neonazi-Kreise vorgedrungen, die weiterhin munter die überhöhten Zahlen benutzen.

Aber dies ist nur ein kleineres Beispiel für die enorme Bedeutung Irvings in der Szene, die an ihm noch sehr viel mehr festmacht, nicht zuletzt wird der ursprünglich von ihm angestrengte und vernichtend verlorene Prozess gegen die Kritikerin Deborah Lipstadt als einer der Beweise dafür genommen, dass er von finsteren Mächten verfolgt und gejagt würde, weil er es wagt, die „Wahrheit“ über den Holocaust zu verkünden.
Diese „Wahrheit“ besteht darin, dass es keinen Holocaust im Sinne der planmäßigen Vernichtung der europäischen Juden gab und u.a. auch keine dafür verwendeten Gaskammern existierten. Der Prozess hat die fragwürdigen Ansichten und Methoden Irvings und seinen teilweise verzerrenden Umgang mit historischen Quellen deutlich thematisiert.

Dass Irving keineswegs durchgehend so selektiv arbeitet, macht die Auseinandersetzung mit seinen Theorien natürlich entsprechend schwerer, als dies bei offensichtlichem Unsinn der Fall ist.

Auf der Basis dieser Vorbemerkungen sollte man auch die folgenden Ausschnitte aus dem Interview betrachten. Nach einigen einleitenden Ausführungen, in denen Hochhuth auch eine weitere Lieblingsthese der Rechten, die Deutschland als vor dem Ausland ständig buckelnden Staat ansehen, bestätigt, findet sich diese erste Stellungsnahme:

JF: Seit Jahrzehnten pflegen Sie eine gute Freundschaft mit britischen Historiker David Irving, der als Holocaustleugner angegriffen wird.

Hochhuth: Irving ist ein fabelhafter Pionier der Zeitgeschichte, der großartige Bücher geschrieben hat. Ganz zweifellos ein Historiker von der Größe eines Joachim Fest. Der Vorwurf, er sei ein Holocaustleugner, ist einfach idiotisch! Ich bedauere sehr, daß es die Stadt Dresden nicht für nötig befunden hat, ihn als Ehrengast zu den Feierlichkeiten am Sonntag einzuladen, nachdem er sich – mit nur 23 Jahren! – mit dem grundlegenden Buch „Der Untergang Dresdens“ als erster diesem Kapitel gewidmet und so viel für dessen Aufarbeitung getan hat.

Es ist richtig, dass Irving sich als einer der ersten mit dieser Thematik befasst hat und dass, wie schon erwähnt, seine ersten Publikationen durchaus positiv bewertet wurden. Dies hat sich aber entscheidend geändert und zwar u.a. genau aus dem Grund, den Hochhuth schlichtweg bestreitet; der aktiven Leugnung des Holocaust. Es wäre schon interessant, wie Hochhuth denn jemanden, der klipp und klar äußert, dass Juden im Zweiten Weltkrieg „nur“ als Opfer eben dieses Krieges und evtl. in reinen Arbeitslagern gestorben sind und eben NICHT vergast oder gezielt nur wegen ihrer Identifikation als Juden ermordet wurden, bezeichnen würde, wenn nicht als Holocaustleugner. Mit dieser völlig absurden Verteidigung überraschte Hochhuth sogar die Reporter der JF, die sich auf dem Gebiet nun wirklich auskennen:

JF: Aber Herr Hochhuth, immerhin behauptet Irving, in Auschwitz hätte es keine Gaskammern gegeben. Er hat flapsig formuliert, in Gaskammern seien dort „weniger Menschen umgekommen als 1969 auf dem Rücksitz Edward Kennedys“ – und da saß bekanntlich nur dessen Freundin.

Hochhuth: Da hat er seiner nicht ganz unbritischen Neigung zum schwarzen Humor auf zynische Weise freien Lauf gelassen. Wahrscheinlich ist er wahnsinnig provoziert worden, ehe er das gesagt hat. Als Historiker ist er ein absolut seriöser Mann.

Selbst nachdem also die Reporter Hochhuth über die permanenten und in zig Aussagen belegten Thesen Irvings „informiert“ haben, will dieser davon überhaupt nichts wissen, obwohl es ja um einen sehr engen Freund geht. Wie kann er Irving für „absolut seriös“ halten, aber dessen diesbezügliche Haltung einfach ignorieren, die ja außerdem seiner später geäußerten eigenen diametral widerspricht?

JF: Immerhin bezweifelt Irving die Schuld Hitlers am Holocaust.

Hochhuth: Ich will zugeben, Irving ist wohl passiert, was so vielen großen Biographen schon passiert ist: Er hat sich von seinem Forschungsgegenstand überwältigen lassen. Er war eine Zeit lang tatsächlich des Wahns, zu glauben, Hitler habe erst ein halbes Jahr nach Beginn der Vergasungen in Auschwitz davon gehört, weil sie auf Initiative „seines Himmlers“ begonnen worden seien. Das ist natürlich dummes Zeug, aber was dann daraus gemacht wurde, ist wirklich der Gipfel der Verleumdung.

Neben der vergleichsweise lächerlichen Rechtfertigung durch „Überwältigung“ redet Hochhuth nun explizit von den Vergasungen in Auschwitz, die er selbst für real hält, die Tatsache, dass Irving gerade diese Vorgänge komplett leugnet aber einfach übergeht bzw. als Verleumdung ansieht. Wie realitätsblind kann man eigentlich sein?

JF: Was halten Sie dann für die Erklärung des Falles Irving?

Hochhuth: Ich kenne keinen „Fall Irving“ – sondern nur einiges, was zu seiner Verleumdung gesagt worden ist. Es ist doch so: Irving ist Halbjude, seine Mutter war Jüdin! Ihn als Holocaustleugner zu verleumden, ist ein Racheakt, weil er in seinen Büchern so schaurige Wahrheiten über uns Deutsche sagt. Wer Irving verbietet, deutsche Archive zu besuchen, will – das tun Politiker gern – vor der Wahrheit über deutsche Untaten im Hitlerkrieg verschont bleiben.

Dieser Absatz ist nun aus mehreren Gründen ganz besonders bemerkenswert. Abgesehen von der die Absurdität der Argumentation noch weiter steigernden Theorie, Irving würde deswegen mit Einreiseverbot belegt, weil er die Aufmerksamkeit auf deutsche Untaten lenkt und ein Wahrheitskämpfer ist, obwohl er gerade das Gegenteil verbreitet und wesentlich schärfere Kritiker der deutschen Untaten völlig unbehindert arbeiten können, spielt Hochhuth hier sogar noch eine pseudo-rassistische Karte aus. Ich hatte in einem der letzten Einträge schon auf die standardmäßige Verwendung des „Alibijuden“ innerhalb rechter Propaganda verwiesen. Antijüdische und antisemitische Aussagen werden nahezu immer mit Autoren belegt, die explizit als „Juden“ bezeichnet werden. Um zu „funktionieren“, setzt dieser Trick allerdings bereits eine latent rassistische Haltung beim jeweiligen Leser voraus, der denken muss, dass die Aussage eines Juden besonders relevant ist oder dieser eben tatsächlich für alle Juden stellvertretend redet. Die Schizophrenie wird auch dadurch deutlich, dass dies in beide Richtungen verwendet wird. Wenn also ein „Jude“ die Wahrheit des Holocaust bezeugt, wird er sofort mit Verweis auf seine „Identität“ als unglaubwürdig hingestellt, weil „die Juden“ natürlich daran ein Interesse haben. Gleichzeitig ist er für antisemitische Vorwürfe der absolut perfekte, nicht widerlegbare Zeuge, denn er muss es ja schließlich wissen und ist automatisch im positiven Sinne repräsentativ.
Einfach gesagt: inwiefern ist es denn von Belang, dass Irving angeblich „Halbjude“ ist? Hat er deswegen Recht oder Unrecht? Hochhuth macht Irving indirekt zum Opfer von Antisemitismus, was mit lächerlich noch viel zu milde bezeichnet ist. Aber das ist noch längst nicht alles, was diese Sätze offenbaren. Der Begriff „Halbjude“ an sich ist bereits ein Rückgriff in nazistische Definitionen, denn nur dort existiert er. Im rabbinischen Sinne wird gerade durch die Mutter geklärt, wer Jude ist, bzw. zunächst zur jüdischen Gemeinschaft gehört. Diese „biologische“, auf uralte halachische Bestimmungen zurückgehende Regelung taucht auch nicht selten in rechtsextremen Schriften auf, um eine scheinbar rassistische Vorgehensweise zu implizieren. Dabei wird natürlich nicht erwähnt, dass man auch durch Konversion Jude werden kann und sich zudem durchaus speziell in den letzten Jahrhunderten andere Ansichten dazu entwickelt haben. Zuzugestehen, dass es auch innerhalb des Judentums ganz verschiedene Strömungen, Denominationen und Sichtweisen gibt, fiele den selbsternannten Religionsexperten natürlich nicht im Traum ein, könnte dies doch das Bild von der einheitlichen jüdischen Weltverschwörung ankratzen.
Aber auch im NS-Zusammenhang liegt Hochhuth falsch, denn für die „Eingruppierung“ nach den Nürnberger Gesetzen sind die Großeltern entscheidend, nicht die Eltern. Übrigens legt dort die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft fest, wer Jude ist, und nicht, wie viele bei der Bezeichnung „Rassegesetz“ vermuten würden Haarfarbe, Nasenkrümmung oder ähnliche Dinge. Strenggenommen handelt es sich daher um ein Religions- nicht Rassegesetz, bzw. wurde die „rassische Zugehörigkeit“ allein nach religiösen Kriterien definiert, wahrscheinlich war man sich durchaus darüber im Klaren, wie wenig man mit den angeblichen rassischen Merkmalen anfangen konnte.

Sicher ist, dass diese Aussage von Hochhuth in jeder Hinsicht (auch aus der von Irving selbst, siehe unten) völliger Schwachsinn ist, der dadurch noch verschärft wird, dass ich nur eine einzige weitere Quelle für die behauptete jüdische Herkunft Irvings gefunden habe. Sie stammt von – Rolf Hochhuth. Ein in der Schweiz erschienener Artikel (der leider nur noch über Irvings eigene Webseite abrufbar ist [a]) über den Briefwechsel zwischen Hochhuth und dem Historiker Golo Mann enthält eine entsprechende Passage aus einem der Schreiben Hochhuths, der sich bereits damals für Irving einsetzte, welcher zunehmend zu einem schweren Problem in der Bekanntschaft mit Mann wurde:

Dennoch bleibt es dabei, dass Irving mein Freund ist, nur nehme ich ihn in diesem Punkt nicht ernst und sage ihm das ins Gesicht und öffentlich. Aber da seine Mutter eine geborene Dollmann ist, was nicht sehr englisch klingt; und da Irving zu Tode verlegen war, als meine Frau ihm rüde ins Gesicht sagte: “David, du bist wohl Halbjude, da du ja nicht idiotisch bist, aber trotzdem diesen krankhaften Hass gegen die Juden hast . . .”, deshalb bitte ich auch Sie, lieber Herr Professor, um Milde für Irving in diesem einen Punkt, wo er tatsächlich nicht normal ist . .

Die Basis für Hochhuths Zuschreibung sind also die rassentheoretischen Kenntnisse seiner Frau, der nicht englisch klingende Name Dollmann und die Verlegenheit Irvings. Nebenbei erfährt man noch, dass Irving einen krankhaften Hass gegen Juden hat, was kein Geheimnis und relativ leicht verifizierbar ist, aber natürlich in Hochhuths Augen nichts an seiner Seriosität als Holocaust-Historiker ändert. Als witzigen Nebeneffekt kreierte Hochhuth indirekt einen Streit zwischen verschiedenen Revisionisten, denn der ebenfalls einschlägig bekannte G. Rudolf verbreitete bezugnehmend auf Hochhuth 2004 ebenfalls diese Aussage und unterstellte unter anderem, dieser würde das verbreiten, um Irvings Ansehen zu untergraben und ihm die Unterstützung antisemitischer Finanziers zu entziehen (sic!) [b].
Von Irving selbst finden sich dazu Statements der Art „Piss off“ und „That is rubbish, my mom wasn’t [Jewish]!“ [c]

Eine bessere Illustration der irrwitzigen Auseinandersetzungen und Diskussionen innerhalb dieser verschwörungstheoretischen Kreise lässt sich kaum denken.

JF: Sie haben einmal davon gesprochen: „Es gibt keine Epoche ohne Wahn”. Was haben Sie damit gemeint?

Hochhuth: Vor siebzig Jahren war die ganze Nation unter Hitler verrückt. In meiner Heimatstadt gibt es das Sprichwort: „Jeder ist anders albern”. Damals war es der Hitlerkult, heute ist es der Glaube, durch Massenentlassung, Rationalisierung und Aufhebung der EU-Grenzen die Wirtschaft zu stärken. Wie wir heute Hitler, so werden unsere Enkel später einmal das als das Verhängnis unserer Zeit verdammen. Denken Sie nur an eine Figur wie Josef Ackermann, der bei Höchstgewinnen Massenentlassungen verkündet. Und jetzt liebäugelt er auch noch damit, die Deutsche Bank an die Wall Street zu verkaufen, was für ein amoralisches Gangstertum!

Wenn man nun glaubt, mit dem Abschluss des Irving-Komplexes wäre der gefährliche Unsinn zu Ende, sieht man sich schnell getäuscht. Hochhuth fügt hier nun den bereits existierenden unzähligen Nazi-Vergleichen einen weiteren, zutiefst absurden hinzu. Zumindest ist mir nicht bekannt, dass in Deutschland eine kollektive, von Millionen getragene Hysterie existiert, die Massenentlassungen für die Lösung unserer ökonomischen Probleme hält. Auch der letzte Satz ist bereits in seiner Diktion interessant, „die Wall Street“ als Synonym bei Verschwörungstheoretikern einschlägig bekannt und auch die Grundthese, der Ausverkauf der DB wird in erster Linie auf rechten Seiten als Teil der Vernichtung deutscher Identität ventiliert, auch wenn die Grundlagen bisher lediglich Gerüchte und Spekulationen sind.

JF: Die Kollektivschuldthese ist zwar in etablierten Kreisen weit verbreitet, aber kaum jemand gibt wie Sie offen zu, sie zu vertreten. Warum?

Hochhuth: Im Hause der Henker spricht man eben nicht gern vom Strick. Ich habe selbst erlebt, wie die Juden meiner Heimatstadt deportiert worden sind. Das war doch der Hitler nicht alleine! Dresden wäre ohne das, was in Auschwitz geschehen ist, nicht möglich gewesen.

Hier rennt Hochhuth sehenden Auges in eine von den JF-Reportern aufgestellte Falle. Die Behauptung, die Deutschen würden von den Anhängern der Kollektivschuldthese beständig moralisch geknechtet, gehört zum rechten Standardprogramm. Sie taucht aber, in dem Sinne, dass jeder lebende Deutsche Schuld an den NS-Verbrechen trug und trägt und ihm das vorgeworfen wird, wiederum nahezu ausschließlich in diesen Behauptungen selbst auf. Dieses kleine Problem löst die Fragestellung mit einem lustigen Trick, indem das Fehlen entsprechender Aussagen einfach dahingehend umgebogen wird, dass sich einfach niemand traut, diese Überzeugung auszusprechen. Es entlarvt eine weitere typische rechte Argumentationsstrategie, die angebliche Tabus und unsinnige Behauptungen aufstellt oder scheinbare Widersprüche konstruiert, sie der Gegenseite unterschiebt um sie dann mit großem Aufwand triumphierend im Namen der Wahrheit zu widerlegen. Die Beispiele dafür sind Legion, besonders prägnant ist u.a. die Diskussion um die Opferzahlen des Holocaust.
Historisch gesehen ist natürlich eine Verbindungslinie zwischen Auschwitz und Dresden in dieser Form kaum zu ziehen, denn der Grund für den Angriff auf Dresden hatte mit dem Holocaust nichts zu tun, sondern war im Gegensatz zu diesem tatsächlich ein inhärenter, zweifellos schrecklicher Teil des „normalen“ Krieges.

Nach einigen lobenden Worten für Großbritannien geht es anschließend nun zusätzlich um Polen und dessen Exilregierung.

JF: Als Diktatur und Vasall, inklusive Katyn, Vertreibung und Annexionen. Zudem ließ Churchill den polnischen Exilpremier General Wladyslaw Sikorsky, (links oben) der in London Zuflucht gesucht hatte, als Gefallen für Stalin liquidieren.

Hochhuth: Es ist in der Tat entsetzlich, daß Churchill seinen Gastfreund hat ermorden lassen! Aber das war ein Akt der Staatsräson, Churchill hatte keine andere Wahl—eine ganz große Tragödie. Aber daß die Rote Armee das ehemals russische Ostpolen annektieren würde, ist doch verständlich. Dafür ist Polen auch im Westen entschädigt worden. Und bedenken Sie nur, was Hitler annektiert hätte, hätte er gesiegt.

Auch dieser Wortwechsel hat interessante Hintergründe. Der erste, der die Theorie, dass Churchill den unliebsam gewordenen, weil antikommunistischen Sikorski, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, ermorden ließ, in größerem Maß verbreitete, war ausgerechnet wieder Hochhuth selbst, in seinem Bühnenwerk „Soldaten. Nekrolog auf Genf“, das in England Empörung und auch einen vom Piloten des abgestürzten Flugzeuges angestrengten Prozess auslöste. Irving hat 1969, nach eigenen Angaben nach einem entsprechenden Anstoß durch seinen Freund, diese Frage in einem eigenen Buch untersucht. Das Ergebnis ist ambivalent, seiner Ansicht nach sind die Umstände des Absturzes sind nicht befriedigend geklärt worden, für eine Verantwortlichkeit Churchills hat jedoch selbst Irving keinen Anhaltspunkt gefunden.
Es ist sicher für ein Kunstwerk bzw. eine künstlerische Darstellung Churchills legitim, freier mit historischen Zusammenhängen umzugehen. Etwas anderes ist es, einen Mordvorwurf, wie ihn Hochhuth hier erhebt, als bewiesen und als Faktum hinzustellen. Bis heute gibt es keinen einzigen Beleg dafür, dass Churchill etwas mit dem Tod Sikorskis zu tun hatte, wer dies behauptet, müsste einen solchen allerdings besitzen und vorweisen, was weder Hochhuth noch Irving bisher geschafft haben. Auch wenn Hochhuth an gleicher und anderer Stelle die Verdienste Churchills herausstreicht und ihn als bedeutenden Staatsmann sieht und es natürlich nicht darum geht, makellose Heldenfiguren zu kreieren, ändert das an den fehlenden Beweisen in dieser Frage nichts.

Insgesamt zeugt dieses Interview von einem bemerkenswert kruden und in sich widersprüchlichen Mix von Anschauungen und Einstellungen, Halbwahrheiten, Spekulationen und Theorien. Sicher ist die Freundschaft zu Irving Hochhuths Privatsache, wenn aber in der Öffentlichkeit nachweislicher und verharmlosender Unsinn verbreitet wird, ist dies so nicht einfach hinnehmbar. Angesichts der vielen aus historische Sicht falschen oder kritikwürdigen Aussagen Hochhuths mutet es auch ein wenig komisch an, dass er sich sogar ein Urteil über die deutschen Historiker zutraut, die er laut Tagesspiegel für weniger seriös als Irving hält.

P.S.: Wir haben eine ganze Weile überlegt, wie wir mit hier verwendeten Links zu rechten Seiten umgehen sollten. Einerseits wollen wir für sie keine Werbung machen und die juristische Verantwortlichkeit ist auch strittig, andererseits glauben wir an die Informationsfreiheit im Netz und daran, dass sich jeder eine eigene Meinung bilden sollte. Nicht zuletzt ist die korrekte Angabe von Quellen Grundvoraussetzung für historisches Arbeiten und einige der Inhalte sind ausschließlich auf diesen Seiten selbst nachweisbar. Daher füge ich die entsprechenden URLs als Text hier an, die Distanzierung von den Inhalten dürfte aus dem Text bereits mehr als deutlich werden, soll aber hier noch einmal bekräftigt werden.

[a] http://***.fpp.co.uk/docs/Irving/Hochhuth/Bund240301.html
[b] http://***.thebirdman.org/Index/NetLoss/Irving/Irving-IrvingIsJewish-GermarRudolf.html
[c] http://***.vho.org/tr/2004/3/Rudolf242.html

Nachtrag:

In der aktuellen ZEIT beschäftigt sich Jens Jessen in einem kurzen Artikel mit dem Interview und den Reaktionen. Sein Fazit:

Spricht so ein Holocaust-Leugner? Im Folgenden wettert Hochhuth noch gegen Jörg Friedrichs Bombenkriegsbuch (»wertlos«), bezeichnet die Zerstörung Dresdens zwar als »Kriegsverbrechen«, nennt aber auch Großbritanniens Kriegseintritt »die humane Großtat der europäischen Geschichte«. Gewiss, er verteidigt Irving, er kritisiert nur dessen »Wahn«, Hitler habe erst »ein halbes Jahr nach Beginn der Vergasungen in Auschwitz davon gehört«. Augenscheinlich hat Hochhuth die späteren Verirrungen Irvings nicht mehr zur Kenntnis genommen. Das kann man ihm vorwerfen, in der Tat, und auch den Auftritt in der Jungen Freiheit. Alles andere ist ein Missverständnis, eine Schlamperei, ein großes Unglück. So viel Bedenkliches tut sich derzeit am rechten Rand der Gesellschaft, dass man das Misstrauen nicht auch noch auf einen Dichter wie Hochhuth ausdehnen muss, der sich sein Lebtag mit der Anklage der Naziverbrechen beschäftigt hat.

Diese Entschuldigung erinnert wiederum extrem an die Hohmann-Apologeten, die aus dessen Rede allein den Teil verwendeten, in dem er nach seitenlanger Aufzählung „jüdischer“ Verbrechen sowohl Deutsche als auch Juden gnädigerweise beide als Nicht-Tätervölker bezeichnete. Auch Jessen legt den Schwerpunkt auf die im Interview zweifellos vorhandenen und auch von mir angesprochenen Aussagen Hochhuths, die ihn zweifelsfrei nicht als Holocaust-Leugner erscheinen lassen, was ich von ihm im Übrigen auch nicht behaupte. Es ändert aber nichts an den anderen dargelegten Punkten, die man nicht einfach so salopp übergehen kann. Die Formulierung Paul Spiegels klingt vielleicht überzogen, ist in ihrem Kern aber nichtsdestotrotz stichhaltig, denn die Frage, wieso Hochhuth Irving trotz der Hinweise auf dessen Thesen wahrheitswidrig pauschal verteidigt (mit dem einen kleinen Zugeständnis an dessen „Überwältigung“), sollte schon gestellt werden. Einfach anzunehmen, dass Hochhuth von Irvings Thesen, die dieser inzwischen seit Jahrzehnten vertritt, nichts mitbekommen haben soll, ist nicht zuletzt auch aufgrund des oben zitierten Streites mit Golo Mann kaum ernst zu nehmen, zudem betont Hochhuth ja den beständigen und engen Kontakt. Ebenso spricht die Reaktion auf den Hinweis der Reporter auf Irvings Auschwitzthesen dagegen, die Hochhuth statt sich davon zu distanzieren oder, wenn er sie denn tatsächlich zum ersten Mal hören würde, erstaunt nachzufragen, glattweg als Verleumdung und durch Provokation hervorgerufen interpretiert. Nein, so einfach wie Jessen kann man sich die Sache nicht machen und zwar gerade WEIL sich am rechten Rand Bedenkliches tut. Weder Alter noch die künstlerische Beschäftigung mit Naziverbrechen taugen als Argument gegen die Notwendigkeit der Nachfrage und der Klarstellung bei den angesprochenen Aussagen. Es ist gerade die Unkenntnis der rechten Diskurse und ihrer schleichenden Etablierung, bei der nichts so willkommen ist wie Zitate von Prominenten, am besten „Linken“ oder „Juden“, die solchen Geisteshaltungen Vorschub leistet. Anstatt den Tagesspiegel zu kritisieren, wäre es doch wesentlich logischer und hilfreicher, Hochhuth mit den zuhauf vorhandenen Aussagen Irvings zu konfrontieren und dazu eine klarere Aussage einzuholen, wenn man es denn als Missverständnis und Unwissen ansieht.

Kommentar

  1. # - Mounty schrieb am 4. April 2005, 11:13:

    Trackback von Mounty:
    Der immer noch zweifelhafte Stellvertreter

    Noch immer ist die – wenn auch nicht sehr ausführlich geführte – Debatte um das in einem anderen Beitrag ausführlich diskutierte Interview von Rolf Hochhuth in der Jungen Freiheit nicht ganz abgeklungen. ...





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