Netz-Anarchos und trojanische Pferde – Eine Replik

Ich bin gerade ein wenig überrascht und sprachlos zugleich. Warum? Durch diverse Kanäle im Internet (Twitter, Blogs etc.) bin auf folgende Kolumne in der Frankfurter Rundschau gestoßen.

Nach dem Lesen dieses Pamphlets — ich kann es leider nicht anders benennen — möchte man meinen, es hätte sich wieder ein Politiker aus der zweiten oder dritten Parlamentarierreihe gemeldet. Doch nein. Der Text wurde verfasst von Herfried Münkler, auch wenn man das nicht wirklich glauben mag.

Während meiner Studiums und noch darüber hinaus habe ich die Publikationen Herfried Münklers mit Gewinn gelesen, sowohl in prosaischer, als auch in wissenschaftlicher Sicht. Seine Ausführungen schienen sehr gut recherchiert und fundiert zu sein. Auch wenn ich seine Thesen und Schlüsse nicht immer teile, so waren diese klar durchdacht, basierend auf dem von ihm recherchierten Material schlüssig.

Aber — es musste ein »aber« kommen — die von Herfried Münkler geschriebene Kolumne grenzt an ein unreflektiertes, unfundiertes Geplappere, dem jegliche Recherche fehlt, dass ich mich ernsthaft frage, ob dieser Text tatsächlich aus seiner Feder stammt — ein Computer kann es augenscheinlich nicht sein.

Ins Detail:

Das Gesetzesvorhaben [Sperrung kinderpornografischer Seiten im Internet, Anm.] sollte bloß sicherstellen, dass das, was für Printmedien gilt, auch im Internet gelten soll: dass der Erwerb von Kinderpornografie unter Strafe steht.

Nun, dem ist bereits so (siehe §184 StGB). Und »bloß sicherstellen« eines bestehenden Gesetzes macht man am Besten wie? Genau. Indem man das Gesetz anwendet die Täter verfolgt und zur Rechenschaft zieht.

Die Freiheit des Internets müsse gegen staatliche Einflussnahme verteidigt werden.

Worin genau besteht die Freiheit des Internets? Worin besteht die Freiheit einer Telefonverbindung? Das Internet ist — technisch gesehen — ein Medium zur Informationsübertragung und Kommunikation. Die Teilnehmer dieses Internets und die darin übertragenenen Informationen unterstehen der schon bestehenden Gesetzgebung. Genau so wie ich für eben diesen Text haftbar bin. Die Freiheit des Internets besteht in einem primär technischen Sinne, welche die traditionellen Beschränkungen für die Kanäle von Informationsbeschaffung, -weitergabe und Kommunikations verkleinert. Nur aus ebendiesem Grund kann hier ich zu dieser Replik ansetzen. Dessen ungeachtet verfällt die Haftbarkeit in zivil- oder gar strafrechtlichem Sinne nicht. Die Freiheit, wovon Herfried Münkler meint es wäre die Freiheit des Internets, die versucht wird zu verteidigen, ist die Freiheit, die auch im »realen« Leben verteidigt wird: Die Freiheit des Informationsaustausches, die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Informationsbeschaffung ohne Zensur.

Diese Position einer prinzipiellen Verbotsabwehr verbindet sich mit der Auffassung, in der virtuellen Welt des Internets hätten die Eigentumsansprüche, wie sie in der realen Welt erhoben werden, keine Geltung, sondern müssten einer kostenfreien Nutzung durch alle zugänglich sein.

Im diesem Abschnitt schwingt Herfried Münkler über zur Debatte über geistiges Eigentum, Online-Piraterie, Heidelberger Appell und Open Access und wirft die Gegner einer Internetzensur mit den Befürwortern von veränderten Nutzungsrechten in einen Topf. Da beide Debatten primär nichts miteinander zu tun haben, werde ich mich dazu nicht weiter äußern, da diese Vermischung und Verallgemeinerung nicht statthaft wäre. Das ist eine ganz andere Baustelle.

Es ist eine eigentümliche Schar, die sich unter dem Banner der Netzfreiheit versammelt hat. Einerseits kriminelle Geschäftemacher, die das Internet benutzen, um verbotene Produkte an den Mann zu bringen, und andererseits ein Ensemble von Freiheitskämpfern, die ihre anarchistischen (kein Staat!) oder kommunistischen Ideen (kein Eigentum) in der virtuellen Welt des Internets realisieren wollen.

Da das Internet kein rechtsfreier Raum ist, könnte ich Herfried Münkler für diesen Absatz belangen. Da ich aber die seine Meinungsfreiheit über meine Befindlichkeiten stelle, lass ich den Absatz einfach so stehen. Er spricht von selbst Bände.

Angelpunkt dieser Argumentation ist die Annahme einer ontischen Differenz, die Realität und Virtualität tatsächlich und wirksam voneinander trennt. Die Trennbarkeit beider Welten ist die Voraussetzung dafür, dass in der virtuellen Welt nicht gelten muss, was in der Realität unabdingbar ist: dass die Freiheit des einen an der Freiheit des anderen ihre Grenze hat und dass diese Einsicht die Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung ist.

Nun ist aber gerade die Nutzung kinderpornografischer Internetseiten ein Beleg dafür, dass der ontische Graben an einigen Stellen übersprungen werden kann: Die Bilder vergewaltigter Kinder entstammen der Realität; nur deswegen sind sie in der Virtualität kapitalisierbar.

Wenn Herr Münkler schon Begriffe wie »ontische Differenz« benutzt, will ich nur kurz darauf hinweisen, dass das »Sein« nicht ohne das »Seiende« und umgekehrt sein kann. Diese herbeifabulierte Trennung von Internet und Realität gibt es nicht, weder im realen/virtuellem Sinne noch im von ihm postulierten philosphischen Sinne.

Wäre Herfried Münklers Text nicht gespickt mit einem philosphischem Verweis und wäre Kinderpornografie und Zensur nicht so ein ernstes Thema würde ich seinen Text als zu ignorierende Polemik in einer mir unbedeutenden Zeitschrift abtun. Da dies aber nicht so ist: »Thema verfehlt, schlecht (bis gar nicht) recherchiert, durchgefallen«.

Kommentar

  1. # - MountainKing schrieb am 18. Juni 2009, 18:40:

    Wollte dir grade den Link zum Artikel schicken, aber da warst du wohl schneller. :-) Im Grunde ist dies ja ein sehr benutzerfreundlicher Artikel, da man ihn bereits nach dem zweiten Satz in den realen oder virtuellen Papierkorb befördern kann. Man erspart sich dann wenigstens noch einige schmerzhafte Momente des Fremdschämens, das einzige Gute ist, dass Münkler ja zum Glück kein Historiker, sondern nur Politikwissenschaftler ist. :)

    Man muss nicht mal Heidegger bemühen, um bei Münkler eine eindeutige gerontische Differenz zwischen der Realität und seiner Wahrnehmung derselben diagnostizieren zu müssen…

  2. # - trenc schrieb am 18. Juni 2009, 23:03:

    Ger-Ontische Differenz gefällt mir. Passt ausgezeichnet. :)

    Mich beschleicht so langsam der Verdacht, es hat etwas mit den Politwissenschaften zu tun und nicht mit der Geschichte, siehe GröHaZ. ;)