In vorderster Front

Eigentlich wollte ich pflichtgemäß auf die neuesten Becksteinschen “Erkenntnisse” zum Thema Computerspiele, die er unter direktem Bezug auf den Doppelmord von Tessin medienwirksam parallel zu einer Debatte des EU-Ministerrates zum Verbot von Videospielen der Öffentlichkeit mitteilte, hinweisen. Er behauptete, dass der Mord “exakt nach dem Drehbuch eines Killerspiels” abgelaufen wäre.
Gerade von Juristen sollte man eigentlich erwarten, dass sie sich erst zu Themen und speziell Straftaten äußern, wenn sie die entsprechenden Hintergründe kennen. Und zwar aus dem Munde bzw. der Feder der Ermittler. Ausnahmen sind aber natürlich Berichte der BILD-Zeitung, dem deutschen Zentralorgan für faktengesättigte und objektive Berichterstattung, die einen Zusammenhang zum Computerspiel “Final Fantasy VII” herstellte. Ich schenke mir den Kommentar und verlinke faulerweise lieber auf einen Artikel von Demonews, der die wichtigsten Merkwürdigkeiten thematisiert.

Stattdessen noch einige Worte zu einer im weiteren Sinne ähnlichen Angelegenheit. Anfang des Jahres nahm die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries die deutsche EU-Ratspräsidentschaft zum Anlass, einen neuen Vorstoß zu europäischer Standardisierung bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus anzukündigen. Eine grundsätzlich sicher begrüßenswerte Idee, allerdings geht es auch darum, europaweit die Leugnung des Holocaust als Straftatbestand zu etablieren. Auch hier drängen sich deutsche Politiker also in den Vordergrund, wenn es um Einschränkungen bestimmter Freiheiten als einzig möglichem Mittel zur Bekämpfung bzw. Prävention geht. Dass Holocaustleugner widerliche Lügner sind, ist eine Sache, aber ich bezweifle (durchaus schweren Herzens) trotzdem zunehmen die Richtigkeit einer solchen Einschränkung der Meinungs- und Redefreiheit. Ihre Positionen und Behauptungen sind inakzeptabel – aber IMO aus sozialer und moralischer, nicht aus juristischer Sicht. Sie sollten in Schulen, Universitäten und in den Medien argumentativ bekämpft werden. Rechtsextreme Parteien profitieren sehr häufig von einer stellenweise durchaus diffusen Abneigung gegenüber dem politischen “Mainstream” (wahlweise blanker Dummheit) und diese Straftatbestände helfen ihnen dabei propagandistisch enorm.

Dank der neuen italienischen Regierung, die ihre frühere Blockadehaltung aufgibt, soll dies nun gelingen und auch endlich der Hitler-Wein verboten werden. Nun ist es also wohl rückblickend schon soweit, dass ausgerechnet Berlusconi als Verteidiger der Meinungsfreiheit gefeiert werden müsste…

Copy kills Logic Update

Am 20.12. wurde nun das Urteil im Prozess gegen den 19jährigen Steffe G. aus Debkau gefällt. Manfred Spitzer scheint meinen Befürchtungen gerecht geworden zu sein und hat einen Zusammenhang zwischen Videospiel und Tat behauptet, wobei der Gutachter der Gegenseite dieser Sicht nicht folgte. Das Gericht folgte dem dankenswerterweise und unterstrich, dass zwischen Spiel und Tat einige Zeit verstrich und dass der Angeklagte bereits früher, auch ohne entsprechende Einflüsse, gegen Menschen gewalttätig wurde.

Dass dies Herrn Spitzer von seinem Kreuzzug abbringt, ist allerdings nicht zu erwarten. Zumindest glaube ich aber jetzt, die Ursache für seine Behauptung, es gäbe in Spielen unterschiedlich stöhnende nackte Frauen, die von Decken hängen, gefunden zu haben. In einem Beitrag in “Nervenheilkunde 1/2005” zitiert Spitzer unter der äußerst objektiven Überschrift “Milliarden für Tötungstrainingssoftware” aus der Indizierungsbegründung der damaligen Bundesprüfstelle bwzüglich Duke Nukem:

“Das gnadenlose Abknallen nackter Frauen, die wehrlos an gefesselt an der Decke hängen, finde ich, gelinde gesagt, daneben.”

Dabei handelt es sich wiederum um ein Zitat von Monika Stoschek über das Spiel in PC Player 7/96, dem sich die Bundesprüfstelle anschloß. Es ließe sich einwenden, dass Duke Nukem ein eindeutig parodisierendes Setting besitzt, man keineswegs gezwungen ist, diese von den Aliens gefangenen Frauen zu erschießen und es im übrigen vergleichsweise unwahrscheinlich ist, dass man in Realität in eine entsprechende Situation kommt. Sicher ist zumindest, dass sich Herr Spitzer hier einfach noch ein paar Details dazuerfunden hat, weil er natürlich selbst Duke Nukem noch nie zu Gesicht bekam.

Und endlich habe ich nach langem Suchen wohl auch die Hintergründe der Tabasko-Studie gefunden! Der Mix dieser Drinks als Modell für Aggression, das ebenfalls bereits grundsätzlich kritisiert wird, ist offenbar mehrfach verwendet worden, allerdings habe ich bisher keine Studie entdeckt, die sich tatsächlich mit Video- oder Computerspielen vefasst hatte. Etwas weiter rezipiert wird nur eine Untersuchung, die 30 männlichen Testpersonen die Aufgabe stellt, entweder eine Pistole oder ein Kinderspiel auseinander- und zusammenzusetzen, wobei vor- und nachher ihre Testosteronwerte gemessn wurden. Außerdem gaben sie mehr als das dreifache an “Hot Sauce” in einen Dink für den nächsten Teilnehmer.

Grundsätzlich wird hier u.a. deutlich, warum Spitzers Behauptung, der Zusammenhang zwischen Spielen und Aggression sei ebenso nachgewiesen, wie der zwischen Rauchen und Lungenkrebs, zurückgewiesen werden muss. Sowohl Rauchen als auch Lungenkrebs sind klar definierbare und für alle Studien standardisierte Werte. Auf “gewalthaltige Spiele” und “Aggression” trifft dies in keinste Weise zu. In jeder Studie werden andere Spiele untersucht, deren Auswahl bereits oft kritisch zu sehen ist, da meist spannendere und langweiligere Spiele verglichen werden (bspw. Wolfenstein3D und Myst), der Gewaltgehalt also nicht der einzige Unterschied ist, man diesen demzufolge nicht als einzigen Grund für evtl. gemessene Unterschiede festsetzen kann. Ebenso disparat ist die Lage des Begriffes “Aggression”, gemessen werden so unterschiedliche Dinge wie Hautwiderstand/Herzschlag, Reaktionszeiten auf bestimmte Worte oder Bilder, Selbsteinschätzungen der eigenen Aggressivität, Antworten auf Fragebögen oder eben Drinks.

Spitzer und andere erwecken allerdings den Eindruck, als hätte man in den Studien die Dinge untersucht, die den Anstoß für die Debatten geben, nämlich reale Gewalttaten und kriminelle Akte wie in Emsdetten. Allein eine erhöhte Aggressionsbereitschaft, die im übrigen im Gegensatz zur Annahme, dass Spiele durch die Interaktivität “gefährlicher” als der Passivkonsum seien, UNTER der von Filmen liegt, beweist nicht deren Gefährlichkeit oder entscheidenden Einfluss, da sehr viele Dinge (Sport, Sex) ähnliche Wirkungen hervorrufen und es bisher keine aussagekräftigen Langzeitstudien zu dieser Frage gibt. Dass spannende Spiele, die den Konsumenten eine Stressituation aussetzen, denselben stärker oder anders beeinflussen als andere, ist im Grunde eine Binsenweisheit.

Einwände gegen das Design vieler Untersuchungen interessieren Spitzer, wie man in seinem Artikel sehen kann, genausowenig wie die Ergebnisse anderer Forscher oder eine kritische Überprüfung der eigenen Hypothesen. Stattdessen wird die Debatte ex cathedra für beendet erklärt und objektivere Ansichten und Forscher sind einfach von der “Tötungssoftwareindustrie” gekauft. Eine derartige, mit Halbwahrheiten, pseudowissenschaftlichen Immunisierungsstrategien und gar Verschwörungstheorien gespickte “Argumentationslinie” ist ein wissenschaftiches Armutszeugnis.

Copy kills logic

Die letzten Tage waren geprägt von Dutzenden angekündigter Amokläufe quasi nebenbei fand man auch einen Jugendlichen, der sich mit der Waffe des Großvaters erschoß, vorher als einer der Urheber der ersten Warnung galt und sich für gewalthaltige Computerspiele interessierte. Nachdem sich herausgestellt hat, dass nichts davon stimmte erlosch das Medieninteresse relativ schnell.

Herr Beckstein nahm diese Nachahmungstaten, die vor allem auch durch das Internet verbreitet bzw. angekündigt wurden, zum Anlaß, eine stärkere Überwachung desselben zu fordern. Man glaubt es kaum: er selbst sorgt durch seine schwachsinnige Killerspieldebatte im Verein mit den Medien erst dafür, dass einige Irre auf diese Ideen kommen oder sich einen schlechten Scherz erlauben und nutzt die selbsterzeugte Hysterie zu weiteren Verbotsforderungen. Respekt.

Endlich kann man auch mal ein echtes Opfer der “Killerspiele” vorweisen: ein 19jähriger Cottbuser hatte einen Obdachlosen getötet und sich darauf berufen, dass das Wrestling-Spiel “SmackDown vs. Raw 2006” ihn dazu gebracht hätte. Der Täter, ein arbeitloser alkoholabhängiger Rassist (also quasi ein Mann aus der Mitte der Gesellschaft), aufgewachsen in schwierigen Familienverhältnissen, war zur Tatzeit schwer betrunken und hatte bereits vorher unter Beweis gestellt, dass er unter Alkoholeinfluss gewalttätig werden kann, auch gegenüber anderen Menschen. Am selben Abend hatte er schon durch Tritte einen Fahrscheinautomaten beschädigt, sicherlich ebenso inspiriert durch das Computerspiel “Ticket Machine Bashing Exxxtreme III”.

Um das klar zu sagen: es geht natürlich um irgendeine Rechtfertigung einer solch grausigen Tat, aber selbst den größten Kritikern der Ego-Shooter sollte es angesichts der Lebens- und Vorgeschichte des Täters eigentlich schwer fallen, beim Videospiel tatsächlich eine entscheidende Voraussetzung oder den Auslöser sehen zu wollen. Dass Straftäter entsprechende gesellschaftliche Diskussionen zur Erklärung und Schuldminimierung nutzen, ist wahrlich auch kein neues Phänomen. Mir begegnete im Archiv auch der Fall eines jugendlichen Diebes, der schon 1916 seine Tat damit begründete, dass er zu viele schlechte Bücher gelesen habe, die ihn verführten. Aber im vorliegenden Fall schafft man es auch noch, den denkbar größten Bock zu suchen, den man zum Gärtner machen könnte: Dr. Manfred Spitzer. Dessen arrogant alle Kritiker als Pseudowissenschaftler abkanzelnden Tiraden sind zwar durchaus komisch, wenn er etwa von Spielen phantasiert, in denen nackte Frauen an der Decke hängen, die unterschiedlich stöhnen, je nachdem, auf welche Körperstelle man schießt. Die Vehemenz, mit der Spitzer Unsinn und Halbwahrheiten vertritt, ist atemberaubend. Er behauptet, dass man einen Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und realer Gewalt bewiesen habe (unwahr), dass Medienkompetenz für Kinder unnütz sei (falsch, siehe u.a. Finnland), dass die Wirkung von Fernsehwerbung ein passender Vergleich wäre (sie zeigt gerade, dass es keine Automatismen gibt und ist auch sonst nicht gleichzusetzen) und dass man Aggressivität offenbar am besten in Tabascoeinheiten messen kann (kein Kommentar). Im letzten, besonders abstrusen Kapitel seines Buches “Vorsicht Bildschirm” enttarnt er übrigens auch die wahren Verantwortlichen für den Irakkrieg und die US-Außenpolitik: die Videospiele. Offenbar waren es die 19jährigen GIs, die auf dem Einsatz bestanden haben.

Man darf gespannt sein, was das Gutachten ans Tageslicht bringt…

Killerspiele im Fadenkreuz

Nach dem erneuten Amoklauf in Emsdetten, an dessen Ende mehrere Verletzte und die Selbsttötung des Täters Sebastian B. stehen, beginnen erneut altbekannte Debatten. Die bisher verfügbaren Informationen zur Persönlichkeit charakterisieren B. als einen Einzelgänger und mehrfachen Sitzenbleiber, der sich als Loser in beruflich/schulischer und privater Hinsicht (starke Abneigung gegen „Modepüppchen“) sah und sich von seiner Umwelt in diesem Gefühl bestärkt fühlte. Seine Suche nach psychologischer Hilfe legen entsprechende Probleme nahe, der Hass auf die – vermeintlich – Schuldigen ist über Jahre hinweg dokumentiert, am Tag der Tat hätte er sich wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor Gericht verantworten müssen. Es handelte sich also offenbar um einen psychisch gestörten Menschen, der vor dem Scherbenhaufen eines gerade mal 18 Jahre währenden Lebens steht. Was kann ihn zu einer solch grausamen Tat gebracht haben? Angesichts dieser Zusammenhänge lässt sich die Frage einfach beantworten: es müssen die Killerspiele gewesen sein!

Wie lässt sich erklären, dass dieser speziell im Fall B. offensichtlich groteske Schluss sofort gezogen und entsprechend medial verbreitet wird? Liegt es nur an der offensichtlichen Ahnungslosigkeit, die beispielsweise SpOn-Autoren dazu bringt, das von B. exzessiv gespielte „Counterstrike“ so zu charakterisieren

„Ballernd bahnt man sich darin den Weg durch virtuelle Gänge, versucht so viele Menschen wie möglich zu erschießen.“

Eine analoge Definition von Fußball wäre: „Man bewegt sich dribbelnd oder sprintend über einen Rasenplatz und versucht den Ball so oft wie möglich im Tor unterzubringen – egal in welchem.“ Wesentlicher Inhalt des Teamspiels CS ist es nämlich, dass man die Hälfte aller vorhandenen „Menschen“ gar nicht erschießen DARF, weil sie zur eigenen Mannschaft gehören und man entsprechend bestraft wird, wenn man es dennoch tut. Counterstrike wird nun ebenfalls als eine den Amoklauf von Erfurt und den gestrigen verbindende Gemeinsamkeit propagiert, obwohl bis heute jeder Beleg fehlt, dass Robert Steinhäuser CS tatsächlich intensiv gespielt hat, was aufgrund der fehlenden Internet-Verbindung seines Rechners äußerst unwahrscheinlich ist.
Gerade konservative Politiker wie Bosbach und Schönbohm, welcher wieder die Spiele, in denen es angeblich darum geht, Frauen und Kinder zu verstümmeln, aus dem Hut zieht, möchte man fragen, ob sie die ihnen zum Teil unterstehenden Beamten der GSG 9 als „Killer“ bezeichnen würden. Schließlich schlüpft man in CS u.a. in deren Uniformen und entschärft Bomben bzw. rettet Geiseln, was die „Originale“ wohl in der Regel auch tun sollten…

Wie schon erwähnt, war B. offenbar tatsächlich ein Internet- und CS-Junkie und es ist nicht auszuschließen, dass der Konsum gewalthaltiger Medien einen Einfluss auf seine Persönlichkeitsentwicklung genommen hat. Trotzdem verwundert immer wieder die schnelle Konzentration auf die Videospiele und die indirekte Aussage, dass diesbezüglich härtere Gesetze diese Verbrechen verhindern können. Bis zu einem gewissen Teil ist es jedoch psychologisch verständlich und zeigt ein weiteres Mal auch einen Generationenkonflikt auf. Die fraglichen Politiker und auch Journalisten sind ohne die neuen Medien sozialisiert wurden und auch wenn sie inzwischen das Internet und PC´s nutzen, fehlt die intimere Kenntnis dieser (Noch)Subkulturen. Sie alle kennen wahrscheinlich aus eigener Erfahrung den Außenseiter in Schule und Beruf/Familie, den Sitzenbleiber, den Schüchternen, der aber nie zum Gewalttäter wurde. Dementsprechend liegt der subjektive Schluss, dass diese Dinge nicht die Ursache einer solchen Tat sein können, nahe. Es muss sich um etwas Neues, Fremdes handeln und das sind aus Sicht der Älteren logischerweise moderne Musikstile, Videos und Computerspiele. Enthalten diese dann auch tatsächlich noch Gewalt in einer ihnen unbekannten Weise, wird der Eindruck noch weiter verstärkt. Es fällt naturgemäß schwerer, sich vorzustellen, dass die mit ihnen verstrauten Konsumenten dieser Medien einen völlig anderen Blick auf deren Inhalte besitzen. Dieser Art Fehlschluss können im Übrigen umgedreht auch die „Gamer“ unterliegen, wenn sie beispielsweise entrüstet posten, dass sie trotz langjährigen Spielens von Ego-Shootern nie das Bedürfnis hatten, jemanden real zu erschießen.

Die zentrale Frage lautet, ob ein entscheidender Kausalzusammenhang zwischen Videospielen und Amokläufen hergestellt werden kann. Nur wenn dieser Zusammenhang belegbar wäre und es entweder der einzige oder der wesentlichste aus einer Reihe von Gründen wäre, würde die Forderung nach Verboten tatsächlich Sinn machen. Für die entsprechenden Politiker steht der Zusammenhang fest, basierend auf nicht wenigen unzutreffenden oder halbrichtigen Annahmen. Schaut man sich eine länger zurückreichende Aufzählung entsprechender Vorfälle an, wird schnell sichtbar, dass ein Konnex zu Videospielen, entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, insgesamt eher die Ausnahme ist. Genau genommen spielten sie erstmals in Littleton eine Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung, da die beiden Täter begeisterte „Quake“ und „Doom“-Spieler waren. Seitdem ist vor allem bei den Amokläufen in Bad Reichenhall, Erfurt und eben dem jüngsten in Emsdetten die intensive Beschäftigung der Täter mit Videospielen festzustellen.
Untersuchungen setzen den Beginn im Jahre 1974 an, weshalb sich zunächst einmal feststellen lässt, dass eine ganze Reihe der Fälle schon rein zeitlich nichts mit der erst Ende der 90er massiv einsetzenden allgemeinen Verbreitung der Spiele korreliert werden können. Die meisten anderen Fälle sind Unglücke, Verbrechen, die aus „klassischen“ Gründen wie Eifersucht oder von psychisch labilen bzw. kranken Personen begangen wurden, auch Nähe zu Versatzstücken von NS-Ideologie oder Hitler-Verehrung sind mehrmals nachzuweisen.

Hinzu kommen Nachahmungstaten des Columbine-Massakers, die eine ganz neue Frage in den Raum stellen, nämlich die nach der Medienberichterstattung im Hinblick auf solche Fälle. Nachdem sich mehrere Täter explizit auf die Vorbildwirkung des Verbrechens von Littleton beziehen und dies auch äußerlich nachahmten, z.Bsp. durch eine entsprechende Bekleidung während der Tat (was auch für Sebastian B. zutrifft), könnte man mit einiger Berechtigung sagen, dass die umfangreiche mediale Aufbereitung dieser Taten eine Mitschuld an den Folgeverbrechen hat. Allerdings würde wohl niemand die These vertreten, dass ALLEIN diese Berichterstattung Jugendliche zu einer solchen Tat motivieren würde und dass das Verzichten auf Berichterstattung dies entsprechend verhindert. Im Hinblick auf Videospiele argumentiert man aber exakt auf dieser Schiene.

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Medien sozusagen den bereits vorhandenen Hass und die entsprechenden Phantasien beeinflussen können, die Ausführungen von Taten „inspirieren“ und bestimmte „Codes“ übernommen werden. Insgesamt zeigt die Analyse der bekannten Taten kein einheitliches Täterbild, eine Erkenntnis, die auch eine im Jahr 2000 erschienene Untersuchung amerikanischer Behörden unterstützt, die 37 Fälle auswertete. Es lässt sich also eine Schieflage in der Debatte konstatieren, die damit zusammenhängt, dass die in erster Linie thematisierten Fälle gerade die sind, bei denen die Täter exzessive Konsumenten von Videospielen waren. Für die absolute Mehrzahl dieser Art Verbrechen war und ist dies allerdings nicht der Fall,wobei noch anzumerken ist, dass nicht wenige der Täter sich selbst getötet haben und daher für viele Untersuchungen nachträgliche direkte Aussagen fehlen.

Populistische Äußerungen von Politikern zielen auf den Teil der Bevölkerung, der mit ihnen ein extrem begrenztes Wissen um diese Zusammenhänge und eine instinktive Ablehnung neuer Medien und Freizeitbeschäftigungen teilt. Wenn Bayerns Innenminister Beckstein aufgrund der äußerst schwachen Datenlage ein Verbot von Killerspielen bzw. deren Herstellung aus Gründen der Gewalt- und Verbrechensprävention fordert und gleichzeitig Alkohol, der bei einer Unzahl von Verbrechen (u.a. jedem dritten Mord) mit im Spiel ist und ca. 40 Milliarden Euro Schaden jährlich verursacht als wesentlichen Bestandteil unserer Feierkultur darstellt illustriert das ein weiteres Mal den oben ausgeführten Generationenkonflikt.

Nachtrag:

Ganz ähnlich und im erfrischenden Gegensatz zur oben zitierten Kollegin argumentiert Christian Stöcker in SpOn.

Bassam Tibi wird gehen

Bassam Tibi (noch Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen), den meisten wohl nur bekannt durch den von ihm geprägten Begriff einer europäischen und laizistischen Leitkultur, welcher in atemberaubender Provinzialität von deutschen Politikern vereinnahmt wurde, wird mit Auslaufen seiner Professur Deutschland verlassen und rechnet ab: Mit Deutschland und dem bildungspolitischen Umfeld im Allgemeinen und mit der Universität Göttingen und dessen Präsident, dem Molekularbiologen Kurt von Figura, im Besonderen.

Der Artikel stimmt einen schon nachdenklich. Aber er bestärkt mich auch zusätzlich in meinen Widerwillen in einem universitären Umfeld Fuß zu fassen.

(via: netbib weblog und Die Welt)

Pseudo-Celebrity Deathmatch

Im Netz ist kürzlich ein Interview aufgetaucht, dessen Inhalt einerseits absolut grotesk und komisch ist, andererseits aber auch widerliche antisemitische Hetze enthält und einem Scharlatan, dessen Treiben schon mehrere Menschenleben kostete, eine Tribüne bietet:

xttp://www.lnc-2010.de/Haug_Hamer.wmv
xttp://www.lnc-2010.de/html/neues_deutschland.html

Man könnte es kurz charakterisieren als einen Dialog zwischen einem rechtsradikalen Spinner und einem antisemitischen Psychopathen, die verständlicherweise leicht eine gemeinsame Wellenlänge finden, nämlich Dr. Matthes Haug und R.G. Hamer. Ersterer gehört zu einer der diversen selbsternannten „Reichsregierungen“ die auf der Basis von falsch verstandenen und manipulierten Quellen behaupten, dass die Bundesrepublik völkerrechtlich „ungültig“ sei und das Deutsche Reich – natürlich inklusive der Ostgebiete – weiterhin existieren würde. Mangels entsprechender Amtsträger ernennen sie sich selbst bzw. gegenseitig zu Kanzlern und Ministern, können sich dann nicht mehr leiden, spalten sich ab und bilden eine neue Regierung. Motivation nicht weniger Sympathisanten ist, abgesehen von rechtsextremer Gesinnung, dass sie keine Straftickets mehr bezahlen müssen, da sie ja Bürger des Deutschen Reiches sind.

Hamer wiederum ist der Erfinder der „Germanischen Neuen Medizin“ und Guru der auf diesem abstrusen Medizinsystem aufbauenden sektenartigen Anhängerschar. Er sieht sich als verfolgtes Genie, welches nur dafür kämpft, dass alle Patienten nach seiner Methode behandelt werden und damit zu 98% überleben. Das ist deswegen nicht möglich, weil die Juden (wer sonst?) dieses „Göttergeschenk“ für sich behalten und alle Nichtjuden mit den Mitteln der Schulmedizin umbringen. Dies funktioniert, weil die Juden laut Hamer Politiker, Medien, Richter und Wirtschaft kontrollieren und außerdem schon aus religiösen Gründen alle Nichtjuden hassen, und in den letzten Jahren 20 Millionen Deutsche umgebracht haben. Natürlich sind diese Behauptungen, seinen entrüsteten Anhängern zufolge, keineswegs antisemitisch!

Das ganze Interview dreht sich im Grunde dann auch nur um diese zentralen Punkte, es ist offensichtlich, dass Haug beabsichtigt, sich die vorhandenen Strukturen der GNM zunutze zu machen, indem er Hamer u.a. das Amt des künftigen Reichspräsidenten anträgt. Natürlich schlägt Hamer das nicht aus, schließlich ist er stolz, ein Germane zu sein und möchte seinem Volk endlich die durch die Fremdherrschaft geraubte Würde und das Recht zurückgeben.
Haug betet die meiste Zeit in ermüdender Weise alle Scheinargumente für seine Theorien herunter, während Hamer wiederum ebenso penetrant seine komplett erfundenen Zahlen (Opfer, angebliche Heilungschancen, Überprüfungen) vorträgt und auch seinen Größenwahn schwer verbergen kann. Der Rest besteht in freihändigem Philosophieren über diverse Felder der Politik, von denen beide offensichtlich keine Ahnung haben.

Man sieht meines Erachtens hier auch sehr gut, wie zwei an sich verschiedene pseudowissenschaftliche Systeme, ein medizinisches und ein politisches miteinander kompatibel sind. Sie eint vor allem die notwendige Verschwörungstheorie, die das bisherige Versagen im Hinblick auf die breite Durchsetzung der Ideen erklären muss. Außerdem wird hier unfreiwillig eine der jüngsten Totalpleiten Hamers dokumentiert. Als Paul Spiegel nach einer Operation im Krankenhaus lag und wegen einer beginnenden Leukämie ins künstliche Koma versetzt wurde, konnte Hamer der Versuchung nicht widerstehen, per Ferndiagnose und –prognose diese Gelegenheit zur Propaganda und als potentiellen Beweis seiner Kernthesen zu benutzen.
In einem weiteren Brief (xttp://www.pilhar.com/Hamer/Korrespo/2006/20060324_Hamer_an_PaulSpiegel.htm) an Spiegel – frühere bestanden in Anschuldigungen wegen seiner angeblichen Verstrickung in die Verfolgung Hamers und indirekten Androhungen eines neuen Holocausts – wünschte er diesem gute Genesung und stellte außerdem fest, dass er (Spiegel) exakt nach der GNM behandelt werden würde und diese doch endlich auch für alle anderen Patienten durchsetzen solle.

Genau diese Behauptung wiederholt Hamer nun auch mehrfach in dem vorliegenden Video, das offensichtlich vor Spiegels Tod gedreht wurde, nach dem Hamer sich dazu dann bezeichnenderweise nicht mehr äußerte. Seine Anhänger im zentralen Forum allerdings schon, dort wurden zwei „Erklärungen“ angeboten; einmal die bei allen Opfern Hamers bisher übliche, dass Spiegel heimlich von der Schulmedizin umgebracht wurde, um einen Beweis für die GNM zu vertuschen und außerdem die noch überzeugendere Theorie, dass Spiegel nämlich in Wahrheit noch am Leben sei.

Es ist in diesen Bereichen immer wieder schade, dass man die unfreiwillige Komik derartiger Gestalten immer nur bis zu einem gewissen Grad genießen kann, weil hier nicht „nur“ geistiger Unrat abgesondert wird, sondern Menschenleben gefährdet werden.

Lightkultur

Deutschlandradio Kultur – im Übrigen einer der wenigen empfehlenswerten Sender – bitte seine Hörer täglich um ihre Meinung zu einem bestimmten Thema. Letzte Woche wurde unter Verweis auf den Entschluss der Berliner Herbert-Hoover-Schule, das auf dem gesamten Gelände nur noch Deutsch gesprochen werden solle die Frage gestellt, ob dies eine gute Idee und auch andernorts empfehlenswert wäre. Die wohl originellste Begründung lieferte ein Zeitgenosse, dessen Name ich mir leider nicht gemerkt habe: er forderte, dass überall, auch auf öffentlichen Straßen und Plätzen nur noch Deutsch gesprochen werden dürfe, da er ein sehr kleiner Mensch sei und mitbekommen müsse, ob Andere Witze über ihn machen würden.
Jetzt ist mir natürlich klar, warum auch Angela Merkel diese Bestrebungen unterstützt.

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